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Kulturaustausch International e.V. Hamburg
Konzeption, Autoren-Akquise, leitende Redaktion und Realisation der Zeitschrift "IKA - Zeitschrift für internationalen Kulturaustausch" Heft Nr. 60 / April 2001: "Indonesien - Eine Inselwelt im Umbruch"
daraus entnommen:
Editorial
Seit dem 21. Mai 1998, als der indonesische Präsident Suharto nach wochenlangen Unruhen und schweren Straßenschlachten sein Amt aufgab, vergeht bis heute keine Woche, in der nicht von weiteren blutigen Demonstrationen und Auseinandersetzungen, politischen Krisen, Terrorattentaten oder "nur" von Verkehrstragödien und Naturkatastrophen aus dem Inselarchipel berichtet wird. Das einstige Urlaubsparadies und Wirtschaftswunderland, ein Land mit 14.000 Inseln, scheint nicht mehr zur Ruhe zu kommen.
Was ist passiert? Erstmals seit den bis heute nicht aufgeklärten Volksunruhen 1965 trauten sich im Mai 1998 wieder Tausende auf die Straßen, vor allem in der Hauptstadt Jakarta, um für mehr Demokratie und Gerechtigkeit, gegen Korruption und Nepotismus zu demonstrieren. Der mit dem Rücktritt des Patriarchen zum Präsidenten bestimmte Vize Habibie, ein in Deutschland ausgebildeter Flugzeugingenieur und enger Vertrauter Suhartos, überraschte zunächst mit seinem Bemühen um weitgreifende Reformen innerhalb des verkrusteten Systems.
Doch schon bald, Ende 1998, gab es erste Vorfälle auf Java, bei denen "Ninjas" nächtliche Angriffe auf islamische Lehrer und traditionelle Heiler verübten. Mit steigender Verunsicherung griff das Volk zu Selbstjustiz und Lynchmord. Die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung sank zunehmend, die staatlichen Organe versagten, die ökonomische Not nahm zu, die Demonstrationen in Jakarta wurden vehementer. Hoffnung auf Veränderung gingen nun von den vier wichtigsten Reformkritikern aus, angesehene Politiker und Intellektuelle auf Java, die nicht in unmittelbarem Dunstkreis der Suharto-Zeit standen: Abdurrahman Wahid ("Gus Dur"), Amien Rais, Megawati Sukarnoputri und Sultan Hamengkubuwono X von Yogya unterzeichneten im November 1998 ein gemeinsames Abkommen mit dem Ruf nach Regierungsreformen und der Entpolitisierung des Militärs. Doch wie ein Lauffeuer mehrten sich zum Jahreswechsel 1998/99 die gewalttätigen Übergriffe zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Am härtesten und längsten traf es die Inselgruppe der Molukken, wo bis heute durch die immer wieder aufflammenden Kämpfe zwischen Moslems und Christen über 3.000 Menschen umgekommen und Abertausende auf der Flucht sind. Aber auch die seit Jahrzehnten um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Provinzen Aceh und Irian Jaya und verschiedene Regionen auf Kalimantan und Sulawesi sind größere Konfliktherde, die immer wieder auflodern. Und schließlich war die Entlassung Osttimors in die Unabhängigkeit, nach einem von der UN überwachten Referendum im August 1999, begleitet von brutalsten Kämpfen und Zerstörungen weiter Teile der Inselhälfte.
Als im Oktober 1999 einer der Reformpolitiker, Abdurrahman Wahid, in den ersten demokratischen Wahlen seit 1949 tatsächlich zum vierten Präsidenten der Republik Indonesien gewählt wurde, stieg die Hoffnung innerhalb und außerhalb des Landes, dass nun endlich Ruhe einkehre. Doch bisher konnten sämtliche Maßnahmen des charismatischen, aber gesundheitlich geschwächten Präsidenten Wahid - etwa seine zahlreichen Kabinettsumbildungen und Bemühungen um Aufklärung und strafrechtliche Verfolgung von Korruption und Machtmißbrauch - nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die neue Regierung mit den komplexen Problemen eines zerrissenen Vielvölkerstaates schwer zu kämpfen hat. Im Februar 2001 ist Wahid selbst Teil einer Korruptionsaffäre geworden.
Für das vorliegende IKA-Heft wurden Indonesien-Kenner verschiedener Fachrichtungen aufgefordert, sich dieser schwierigen Übergangszeit Indonesiens differenziert zu nähern und einen verstehenden Blick anzubieten. Prof. Bernhard Dahm versucht die historischen Wurzeln der verfahrenen Situation zu beleuchten, während der Indonesier Hok An das Ausmaß der Gewalt bei den zahlreichen ethnisch-religiösen Konflikten aus der Sicht eines Betroffenen kritisch hinterfragt. Dr. Martina Heinschke zeigt am Fall des international renommierten und lange inhaftierten Schriftstellers Pramoedya Ananta Toer, welchen Anteil Intellektuelle an der Entstehung und Weiterentwicklung einer neuen politischen Kultur haben können, wenn sie traditionelle und volksnahe Denkweisen reflektieren und miteinbeziehen. Auch der Beitrag von Susan Khallaf zu der ungewöhnlichen Theateraktivistin Ratna Surampaet illustriert, wie engagiert einzelne im Bemühen um Aufklärung gesellschaftlichen Wandel mitbefördert haben. Mein eigener Beitrag zu Reisen ins Toraja-Land auf Sulawesi soll verdeutlichen, welche ambivalente Rolle den christlichen und ethnischen Minderheiten zugedacht wird, wenn sie als Reste "primitiver", traditioneller Lebensweise vermarktet werden. Doch regionale Identität bedeutet nicht gleich kulturelle Rückständigkeit, und übertragen gilt dies für Indonesien selbst, das gewissermaßen auf der Suche nach seinem eigenen Demokratie-Konzept ist - ein schmerzhafter Prozess.
© Text Charlotte Brinkmann
© Bild Kulturaustausch International e.V. Hamburg
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